Stille Post – ein Text geht um die Welt

Stille Post

Anlässlich der Buchmesse hörte ich letzte Woche ein Interview mit Urs Widmer, in dem er ein Experiment erläuterte, das Grundlage für eine Erzählung in seinem neuen Buch „Stille Post“ ist. Und zwar wurde das Kinderspiel „Stille Post“ mit einem kurzen literarischen Text gespielt, der um die Welt und durch sechs Sprachen geschickt wurde. Da wurde ich hellhörig!

De ⇒ Es ⇒ Zh ⇒ En ⇒ Ru ⇒ Fr ⇒ De
Das Experiment bestand darin, einen einseitigen literarischen Text in sechs Sprachen übersetzen zu lassen, und zwar jeweils von der Übersetzung. Konkret heißt das, vom Deutschen ins Spanische, vom Spanischen ins Chinesische, davon ins Englische, davon ins Russische, davon wiederum ins Französische und davon zurück ins Deutsche.

Im Buch, das ich mir daraufhin gleich gekauft habe, sind die Übersetzungen in die einzelnen Sprachen mit jeweils einem Kommentar von einem anderen Übersetzer abgedruckt. Auch wenn man zum Beispiel des Chinesischen und Russischen nicht mächtig ist, ermöglichen diese Kommentare dem Leser nachzuvollziehen, wie sich der Text mit jeder Übersetzung verändert. Äußerst spannend!

Stadel ⇒ Scheune ⇒ Kornspeicher ⇒ Brotkorb
So verwandelt sich ein Schweizer „Stadel“ im Spanischen in eine Scheune, im Chinesischen in einen Kornspeicher und im Englischen in einen „Brotkorb“ (breadbasket). Im französischen und rückübersetzten deutschen Text taucht der Begriff gar nicht mehr auf. Er ist offensichtlich auf der Reise verloren gegangen.

Gefragt nach seiner Meinung über den zurückgekehrten deutschen Text meinte Urs Widmer, „der Text hat jede Anmut, Ironie, Leichtigkeit und Poesie verloren und kommt eher einem Lexikoneintrag gleich. Das ist nicht, was ich einst geschrieben habe.“

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