Simultandolmetschen: Wenn die Stimme aus den Off verstummt

Martina Wieser

Der Redner tritt ans Mikrofon und beginnt. „Unser Unternehmen hat im letzten Jahr während der Wirtschaftskrise, die ja fast alle Branchen schwer in Mitleidenschaft gezogen hat und viele Unternehmen an den Rand des Konkurses gebracht hat … äh … hinsichtlich Umsatz und Marge, und hierzu werde ich Ihnen auch gleich noch einige Zahlen zeigen … äh … äh …

Warten auf das Verb
Die Zuhörer der englischen Verdolmetschung schauen irritiert zur Dolmetscherkabine, drehen an ihren Lautstärkereglern. Es kommt keine Übersetzung, obwohl der Redner bereits „geraume“ Zeit spricht. Schlafen die Dolmetscher? – Nein, sie warten auf das Verb, merken sich das Gesagte und hoffen, dass der Redner bald zum Ende seines Satzes kommt. Erst dann wissen sie, was das Unternehmen denn nun „hat“. Hat es gut abgeschnitten? Hat es massive Einbußen hinnehmen müssen? Und erst dann können sie den englischen Satz formulieren, bei dem das Verb, und mit ihm die Kernaussage des Satzes, am Anfang kommt.

Die Aussage antizipieren
Um die unterschiedlichen Satzstrukturen in den einzelnen Sprachen zu kompensieren, haben Dolmetscher gelernt zu antizipieren. Wie gut das gelingt, hängt allerdings sehr vom Redner und der Klarheit seiner Aussagen ab. Und so kann es schon einmal vorkommen, dass ein Zuhörer in der Pause die Dolmetscherinnen anspricht und sagt: „You are doing a great job, but tell me, what was the problem at the beginning of the speech? What were you waiting for?“ Da bleibt dann nur die Antwort: „ We were waiting for the verb, which comes at the very end of a German sentence“.

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